___________________________________________________________________
zieleComputerKommunikation&Gefängnis EIN PILOTPROJEKT Projektstandorte Strafanstalt Favoriten (Dr. Werdenich) Testphase 4.Juni bis Mitte Okt. 98 Online-Betreuung von 10 Frauen in Favoriten (Drogenentzug) Zweiter Standort in Verhandlung Projektleitung Sigrun Höllrigl (Konzept, Koordination) Franz Xaver (Kommunikation, Technik) IRC-Chatchannel #10erl (irc.vbs.at) Mailinglist haft Webpages http://fax.priv.at/haft (Onlinezeiten, Eintragung in die Mailinglist) Projektbeschreibung (Testphase Favoriten, Wien) 1.Computerschulung im Gefängnis Vermittlung der wesentlichen Grundbegriffe von virtueller Kom- munikation sowie Einübung ihrer praktischen Verwendung. 2.Kommunikation Exemplarischer Aufbau von Kommunikationsnetzwerken für inhaftierte Frauen. Eigene Mail-Accounts. Offene Mailinglist, Überführung in geschlossene Kommunikationszirkel KUNST- FRAUEN - GRUPPEN-PROJEKTE (Sozialakademien, Universitäten, Schulen) Teilnahme an News-groups, Chats (über IRC-Chatchannel #10erl), Sicherheitsstandards, Netzbetreuung 3.Mediale Aufbereitung der Erfahrungswerte Webdokumentation, Medienarbeit Inhalte Internet wird von den Projektleitern als Kommunikationsmedium definiert.Die Projektphilosophie bewegt sich in kritischer Distanz zur bunten Bilderwelt des "Internet-TV" und des Medien- Konsumverhaltens. Basis des Pilotprojekts "ComputerKommunikation & Gefängnis" ist schriftliche Textkommunikation in Form von E-Mail und Chat. Inhaftierte erfahren sich als gleichberechtigte Kommunikations- teilnehmer und konfrontieren sich mit neuen Kommunikations- formen, Themen und Partnern.Sie artikulieren sich in ihren Wünschen, Bedürfnissen und Interessen. Die neue Kommunikationstechnik soll die psychischen Folgen der Isolation im Gefängnis mildern und den Reintegrationsprozeß fördern.In der Kommunikation entstehen dialogisch wechselseitig soziale Berührungsfelder, welche Sensibilität für gesellschaft- liche Normen und Normenbildung wecken. Das Pilotprojekt initiiert Impulse und innovative Erfahrungen für nachfolgende Visionen wie Telework im Gefängnis. STAND UND ENTWICKLUNG Urspruenglich wurde das Projekt für das Jugendgefaengnis Gerasdorf konzipiert und beruht auf einer einjaehrigen Entwicklungszeit (Beginn Februar 97). Juni 98 ist eine dreieinhalbmonatige, erste Testphase in Favoriten unter Ausschluß der Oeffentlichkeit angelaufen. Bislang wurden insgesamt 10 Frauen der geschlossenen Abteilung der Drogenentzugs- station Favoriten eingeschult. Die Schulungszeiten sind Mo, Mi, 13 bis 15 Uhr, Fr. 13:15 bis 15:15. Während der Onlinezeiten kommunizieren die Frauen frei nach persoenlichen Vorlieben via private Mail, Mailinglist und Chat. Erste Erfahrungen haben gezeigt, daß der Chat von den Frauen eindeutig bevorzugt wird. Der Kommunikationsaustausch fließt auf einer spontanen emotionalen Ebene über Befindlichkeiten vor und im Chat und im Austausch von persoenlichen Erlebnissen. Kommunikationspartner sind derzeit eine kleine Gruppe von Kuenstlern und Netzfreaks aus Oesterreich, Deutschland und der Schweiz. Ab Mitte August wurde der geschlossenen Laborcharakter des Projekts in eine zweite Phase überführt. Sie beinhaltet Oeffentlichkeits- und Medienarbeit. Es wurden in einem halboeffentlichen Rahmen Universitaeten, Sozialakademien, politische und soziale Frauenorganisationen über das Projekt informiert. Entragen kann man sich über die Homepage http://fax.priv.at/haft Ziel dieses Pilotprojektes ist es, erste Erfahrungen über moegliche Gespraechsthemen, Formen und Ansprechpartner zu gewinnen, sowie die Akzeptanz des Projektes zu pruefen. Ab Mitte Oktober ist die Ueberfuehrung in den geschlossenen Strafvollzug mit Langzeithaeftlingen anvisiert. Die Verhandlungen sind im Gange. Eine Ueberfuehrung aus dem Kunstbereich in den Sozialbereich im Rahmen eines Forschungsprojekts (psychologische Aufarbeitung und internationale Dokumentation) waeren bei Erfolg und Akzeptanz der angemessene Rahmen für eine langfristige Etablierung von elektronischer Kommunikation im Gefaengnis. Zugang zum Computer/Internet Den Inhaftierten stehen Terminals ohne Arbeitsspeicher zur Verfügung. Die Computer sind über einen internen und externen Server in einem Netzwerk verbunden und werden über eine ISDN- Leitung geführt (Betriebssystem ist Unix). Zur Benuetzung wird ein vorhandener Raum adaptiert, der unter Betreuung mehrmals woechentlich offensteht. Die Kontrolle über die Daten obliegt derzeit ausschließlich dem projektleitenden Operator und Schulungsleiter Franz Xaver und hat Vertrauensbasis. Die Frauen sind darüber informiert. MEDIENKUNST Für dieses innovative und die Entwicklungen der nächsten Jahre vorausnehmende Projekt ist eine unbuerokratische und "schnelle" Realisation durch die Kunst moeglich und ein experimenteller und offener Rahmen gewährleistet. Initiiert wird ein Pilotprojekt, das in einer Grundstruktur so aufgebaut ist, daß es in der Vermittlung von Vorgangsweisen und Erfahrungen in Zukunft weitere Verbreitung findet. Unterstuetzt wird das Projekt von Wolfgang Zinggl, Bundeskurator für Bildende Kunst. In Zusammenarbeit mit dem Medienkuenstler Franz Xaver übernimmt Sigrun Hoellrigl die Projektkoordination und die Projektbetreuung. In Zusammenhang mit laufenden Ausbildungs- programmen des EU-Projekts OUT REACH (Computerschulungen, Text- verarbeitung) wird eine Gruppe von interessierten, inhaftierten Frauen auf freiwilliger Basis in das Projekt eingebunden. PROJEKTPHILOSOPHIE Virtuelle Kommunikation statt Isolation: Internet & Gefaengnis Der Sinn von Strafformen, mit denen heute der Verstoß gegen gesellschaftlich determinierte Normen geahndet wird, wird selbst von seiten anerkannter Kriminologen bezweifelt. Eine abschreckende oder bessernde Wirkung durch die Isolationshaft in Gefaengnissen ist keineswegs erwiesen. Dessen ungeachtet gibt es eine jahrhundertealte Tradition, Rechts- brecher in Gefaengnisse zu stecken, und Gefaengnisse wird es vermutlich auch in Zukunft weiter geben. Wie der außergerichtlichen Tatausgleich und jüngste Pilotversuche des Hausarrestes unter elektronischer Fessel zeigen, sind neue Wege im Strafvollzug möglich und werden beschritten. Eine weitere Moeglichkeit und Ziel dieses Projektes ist eine beschraenkte Nutzung des Internets während der Haft. Der Gefaengnisalltag wird von den Betroffenen allzuoft als sinnlos erfahren. Die Unterbindung bzw. restriktive Einschraenkung des Kontakts nach außen schafft eine unwirkliche Wirklichkeit. Zusaetzlich zu persoenlichkeitsbedingten Schwierigkeiten im Sozial- verhalten der Gefangenen geht durch die Ausgrenzung die Faehigkeit zur Kommunikation verloren. Gerade für Menschen im Gefaengnis eroeffnet das Internet als Medium die Moeglichkeit, diese als leidvoll erfahrene Isolation zu mildern. In Anschluß an neue Schulungsformen und neu entstehende Internet-Dienstleistungen hat der Internetzugang neben einer therapeutischen eine berufsbildende Dimension und die Vision von Telework ist keine Utopie, sondern wird in Amerika bereits praktiziert. Das Internet im Gefaengnis zu etablieren bedeutet gleichzeitig, das Medium zu demokratisieren und ist eine direkte Umsetzung der erhobenen Forderungen nach bildungspolitischen Akzenten. Auch ist das Internet in diesem Zusammenhang nicht Ersatz für direkte Begegnungen, sondern Mittel für nicht vorhandene soziale Kontakte. Das Internet kann durch die Schaffung von Kommunikationsmoeglich- keiten therapeutische Arbeit leisten. In der Kommunikation entstehen soziale Beruehrungsflaechen. In Zusammenarbeit mit Schulen, paedagogischen Ausbildungsstaetten, Universitaeten koennen Gruppenprojekte die Diskrepanz von Theorie und Praxis im paedagogischen Ausbildungsbereich verbessern helfen und moegliche Dialogfelder erarbeiten.