inter©netbettler


internet, das hochtechnologische virtuelle kommunikationssystem, soll mit der ältesten einfachheit von stärkster materieller und ideeller wirklichkeit, der bettelei verknüpft werden. die leistung der bettelei ist die darstellung der armut und des elends, die mittel, durch die der bettler zu seinen almosen kommt, sind ästhetische, die darstellung muß so perfekt sein, daß sie betroffen macht, damit der "konsument des anblicks" bereit ist, dafür zu bezahlen.

der bettler agiert in einem offenen system wie der anbieter im internet , jeder in seinem umraum kann ihn sehen. seine präsentation kann von jedem konsumiert und kopiert werden, höchste vollendung und ziel seines events ist das almosen. jeder kann sich dieser darbietung durch abwendung entziehen, ohne die dargebotene chance ein almosen zu geben, zu nützen.

die leistung des bettlers ist die darstellung der armut in der öffentlichkeit und die damit verbundene erzeugung des mitgefühls! die darstellung der eigenen armut erfordert die gezielte anwendung der körpersprache und den gestalterischen umgang mit schmutz, wunden und menschlicher erniedrigung um im betrachtenden mitakteur, dem möglichen geber, die emotionellen kriterien (nächstenliebe, mitleid usw. ) zu erzeugen.

der, in aller öffentlichkeit vom bettler nur durch seine anwesenheit, anvisierte geber kippt im moment der ansichtigkeit des bettlers vom anonymen passanten und passiven konsumenten des elends zum öffentlichen akteur des geschehens.
der anblick des elends, mit der bitte um hilfe (das ersterbende "biiiiede", die ausgestreckte hand, der sprachlose text usw. ) hinterfragt seine existentiellen, ideellen und materiellen grundlagen und legt durch gegenüberstellung, diskrepanzen bloß.
durch die höhe des gegebenen almosens oder der offensichtlichen verweigerung desselben, wird der genötigte akteur in ein rollenbild gedrängt (hochherzig - geizig), das sich öffentlich manifestiert.
internet ist biedermeier
der internet-bettler legt das besondere an der öffentlichkeit im internet, am neuen weltumspannenden elektronischen öffentlichen raum, bloß, es ist die beibehaltung der anonymität des biedermeierlichen wohnzimmers, der internet surfer kann virtuell den elektronischen raum betreten , kann handeln, tritt aber nicht in erscheinung. er deklariert sich nicht durch seinen auftritt, er bleibt vojeuristisch in seiner biedermeierlichen privatheit versteckt. der daten highway ist nur ein halböffentlicher raum.
der internet-bettler findet den druck der öffentlichkeit, wie er ganz einfach auf der straße stattfindet, als gestaltungsmittel seiner tätigkeit nicht vor.
aber auch der mögliche spender handelt ohne öffentliche resonanz. das almosen ist eine form der geldausgabe, bei welcher das hergeben des geldes selbst, scheinbar ohne irgendeine gegenleistung, wert erzeugt, sinn macht, ideelles kriterium ist, wobei die selbst bestimmte größe der "kleinen spende" die tiefe des ideellen wertes festlegt, die eine befriedigung des gebers ermöglicht.
der bettler hilft dem "edlen spender" durch sein gestaltungsprogramm und der damit verbundenen ermöglichung einer spende, das persönliche soziale ideelle weltbild aus- und aufzubauen.
betteln, die unsichtbare arbeit !
betteln ist keine arbeit, betteln ist eine gegenwelt.
dieses paradoxon muß vom aktiven bettler aufrecht erhalten werden, um dem mildtätigen bedeutung zu geben. wenn der bettler aus seiner existentiellen präsentation in einen beruf gekippt wird, z.b. in dem man ihn dafür bezahlt damit er sich fotografieren läßt, wird er zum darsteller.
die vielschichtigkeit seiner anwesenheit geht verloren. er verliert sein mythos. der bann ist gebrochen. er verläßt die gegenwelt , er wird zum arbeitenden selbstdarsteller. der bezahlende verliert die mildtätigkeit. wieweit behält aber das abbild des bettlers das mythos, das dem bettler selbst durch die zulassung der bezahlung verloren ging? bevor man diese frage beantwortet kann man ja noch überlegen ob ein bettler überhaupt eine chance hat mit seinen strategien in einem anderen medium statt der öffentlichen straße, also dem internet seine existenz zu fristen.
die darstellung der armut als direkte materielle darstellung der eigenen armut, läßt sich im internet nicht verwirklichen. der bettler braucht, um zu ein almosen zu kommen, ein konto bei einer bank und das allein wiederspricht dem alltäglichen verständnis von bettelei aus radikaler existentieller not.
mit dem, durch das internet, ausgewiesenen besitz eines computers und der installation einer home page ist er nicht mehr glaubwürdig arm. sein veralteter computer kann vom empfänger seiner botschaft nicht erkannt werden, jeder sitzt bei seinem eigenem computer. so bleiben vielleicht, als mitleiderreger die veralteten programme, die man aber bereits glauben muß, da sie ja in sich nicht wahrheitsschlüssig sind, sie könnten auch als gestaltungsmittel eingesetzt sein.
durch eigene präsenz, wie auf der straße, läßt sich armut im internet nicht vorführen.
auch läßt sich schmutz virtuell kaum darstellen, so daß er z.b. den glanz des bildschirms überwindet oder an den gerätespezifischen dreck der tastaturen heranreicht.
wenn die tatsächliche armut von sich aus nicht mehr erlebbar wird, kann man nur mehr, wenn man mit mitteln der armut zu geld kommen will, es mit der darstellung der armut versuchen.
die darstellung der armut kann als metapher für die armut genommen werden, als bild der armut, das bild der armut kann aber jeder, auch der reiche, vor sein gesicht halten.
die glaubwürdigkeit, die ja schon beim straßenbettler eine große frage ist " bettelt er oder arbeitet er" heißt im internet, der bettler kann nicht mehr für sich betteln, wohl aber für einen anderen. ganze hilfs- oder mitleidindustrien leben von der ausbeutung neuauftretender elendsgebiete. jedes elendsgebiet ist eine goldgrube verschiedenster weltumspannender wirtschaftszweige, von der informationsindustrie über die kulturindustrie (benefizkonzerte) bis zur hilfsgüterindustrie.
internet ist kein öffentlicher raum. internet ist der abschied vom materiellen elend, vom schmutz und gestank , hin zu einer sauberen virtuellen informationsgesellschaft, zur biedermeierlichen anonymen freiheit in gutbürgerlichen bildschirmoberflächen.
der bettler, der mythische gott der informationsgesellschaft, dem es um die immateriellen leistungen geht, die im emotionellen ereignis- und erlebnisbereich werterzeugend sind, kann im internet sein dasein nicht mehr selber erhalten. der künstler im internet hält sich das abbild seines mythischen zwillingbruders vor das gesicht und meditiert im datenrausch über den wert des copyright.

© almosen